Von mehreren möglichen Therapien sollte der Arzt die am wenigsten Sensationelle wählen.


Hippokrates


8 Die Orthomolekulare Medizin

Wenn wir nun wissen, daß Vitalstoffe einzeln und in ihrem Zusammenspiel über ihre “normalen” Aufgaben im Stoffwechsel hinaus und dabei in höherer Dosierung radikalische Reaktionen zuverlässig verhindern, bzw. entstandene Schäden reparieren können, stellt sich die Frage, wie wir dies für uns nutzen können. Wir haben nämlich auch gesehen, daß unsere Ernährung – aus unterschiedlichen Gründen – als eine sichere, reichhaltige und stetige Quelle von Vitalstoffen nicht bezeichnet werden kann. Zudem reichen die aus der Nahrung gezogenen Vitalstoffe in ihrer Menge nicht aus, um die permanente radikalische Grundbelastung plus der häufigen radikalische Spitzen in Form von Streßepisoden wirksam abzufangen.

Die Orthomolekulare Medizin wurde von dem zweifachen Nobelpreisträger Linus Pauling inauguriert, der 1975 mit einer Gruppe interessierter Ärzte in San Diego die “California Orthomolecular Medical Society” gründete. Bei der anschließenden Konferenz der “International Academy of Preventive Medicine” in Kansas City (Missouri) kam es zur Unterzeichnung eines Gesetzes, wonach die amerikanischen Krankenversicherungen neben der normalen Schulmedizin auch Behandlungen nach den Prinzipien der Orthomolekularen Medizin erstatten müssen. Damit waren diese Methoden offiziell anerkannt und sind es bis zum heutigen Tage.

Essenz der Orthomolekularen Medizin ist das Linus-Pauling-Zitat in “Science” 160, 265 (1968):

“Orthomolekulare Medizin, bzw. Therapie ist die Erhaltung guter Gesundheit und die Behandlung von Krankheiten durch Veränderung der Konzentration von Substanzen im menschlichen Körper, die normalerweise im Körper vorhanden und für die Gesundheit erforderlich sind.”

Hier wird einmal von ”Erhaltung guter Gesundheit” und von ”Behandlung von Krankheiten”, aber auch von ”Veränderung der Konzentration” gesprochen. Die sorgfältige Textkritik weist somit weit über das hinaus, was sich hierzulande bei allen dazu sich berufen Fühlenden bis zum letzten Reformhaus, nämlich einen “Mangel” auszugleichen, eingebürgert hat.

Das führte zum Konzept der Orthomolekularen Medizin, das mit allen maßgeblichen Molekülen als direkte, bzw. indirekte Antioxidantien arbeitet, diese nach dem Muster des natürlichen Bedarfs gleichzeitig und im Hinblick auf ihre speziellen, zusätzlichen Aufgaben in höherer Dosierung (Übersubstitution) verabreicht. Eine “normale” Konzentration von Vitalstoffen kann gerade mal den Stoffwechsel mit seinen spezifischen Anforderungen bedienen. Die benötigten Moleküle sind damit an diesen Orten gebunden und haben keine “Kapazitäten” mehr frei, zusätzlich auch noch gegen Freie Radikale zu wirken. Man kann sich das in etwa so vorstellen, daß man ein üppiges Haus errichten will, sich das dafür nötige Baumaterial (Steine, Holz, usw...) anliefern läßt, ein einfaches Haus damit dann auch realisieren kann, jedoch die vorgesehene Sonderausstattung wie Anbau, Wintergarten usw. nicht möglich ist, weil dazu das zusätzliche Material nicht mitgeliefert wurde. Es läßt sich also in dem Haus zweifellos wohnen, d. h. hier: die Bedürfnisse des Körpers nach Unterhalt der normalen Stoffwechselfunktionen werden befriedigt, denn dafür reichte ja das Material (Vitalstoffe), aber den Komfort eines Balkons oder einer Terrasse, das bedeutet hier: die Ausstattung und Aufrechterhaltung des antioxidativen Systems, kann man sich damit mangels Materie eben nicht leisten.

Von allen außerhalb der sog. “Schulmedizin” angewandten Verfahren, gehört die Orthomolekulare Medizin zu den wenigen, die man “wissenschaftlich” nennen kann. Sie erfüllt die dafür nötigen Kriterien: Ihre Verfahren sind lehr-und lernbar, ihre Ergebnisse lassen sich von jedem, jederzeit und an jedem Ort reproduzieren. Die Orthomolekulare Medizin ist interdisziplinär. Sie beruht im wesentlichen auf den Disziplinen


8.1 Anwendungsprinzipien der OM

Die Anwendungsprinzipien von orthomolekularen, also körpereigenen Stoffen und von körperfremden Stoffen (Arzneimitteln) unterscheiden sich grundsätzlich: Orthomolekulare Substanzen werden in hoher Dosierung angewandt, z. T. um ein Vielfaches höher als der Tagesbedarf. Hingegen verlangen körperfremde Arzneimittel wegen der Nebenwirkungen grundsätzlich die niedrigsten wirksamen Dosierungen, ausgerichtet an der “therapeutischen Breite”. Die Anwendungsdauer von Orthomolekularen Substanzen ist nach Möglichkeit sehr lang, Jahre oder lebenslang, was in Anbetracht von ein Leben lang ablaufenden radikalischen Reaktionen auch einsichtig ist. Der Einsatz von körperfremden Arzneimitteln wiederum sollte – wieder wegen der Nebenwirkungen – zeitlich eng begrenzt sein. Außerdem werden Orthomolekulare Substanzen immer als Stoff-Kombinationen verabreicht, um ihren Synergismus zu nutzen. Körperfremde Arzneimittel werden inzwischen weitgegehend nur noch als Monsubstanzen verabreicht, um Interaktionen auszuschließen und die Möglichkeit von Nebenwirkungen zu minimieren.

Orthomolekulare Substanzen dienen immer der ursächlichen Behandlung. Sie sind bei sachkundigem Gebrauch frei von Nebenwirkungen. Die Orthomolekulare Medizin arbeitet – gemäß der Logik des menschlichen Stoffwechsels – immer mit mehreren Substanzen gleichzeitig, was den “Nachteil” des fehlenden Wirksamkeitsnachweises durch monokausal angelegte Studien hat. Orthomolekulare Substanzen haben – ihrer Natur als Biomoleküle entsprechend – eine langsame Wirkweise und einen späten Wirkungseintritt. Dies führt zu der oft irrigen Annahme, sie wirkten nicht. Ein weiterer “Nachteil” ist, daß es sich hier um in der Natur vorgefundene Moleküle handelt, die nicht patentierbar sind und an deren Erforschung und Zulassung als Arzneimittel die Pharmaindustrie somit kein Interesse hat. Aber nur die Pharmaindustrie wäre finanziell in der Lage, die dafür nötigen großen und teuren Doppelblind-Studien zu finanzieren. Der häufige Ruf nach “Studien” verkennt im übrigen, daß es sich bei Orthomolekularen Substanzen um körpereigene Substanzen handelt, ohne deren Anwesenheit kein Mensch lebensfähig wäre. Ihnen den à-priori-Nachweis ihrer Existenzberechtigung, bzw. “Nützlichkeit” abzuverlangen, entbehrt nicht einer gewissen Komik! Die Verabreichung von Substanzen der Orthomolekularen Medizin bewirkt übrigens keine Abhängigkeits-, Gewöhnungs-oder Toleranzeffekte. Das ist nach der Art der in der Orthomolekularen Medizin verwendeten Moleküle, die ja z. B. keine Hormone oder Zellbestandteile sind, gar nicht möglich.